Kids-Tour zum Komponisten
Veröffentlicht von waltergrafik am
Kultur
Kids-Tour zumKomponisten
Stift St. Florian ist eng mit dem Leben und Werk von Anton Bruckner verbunden und führend in der Jungen Kulturvermittlung. Eine Führung für Kinder bringt den Komponisten den jungen Gästen auf anschauliche Art näher.
Mit einem leichten Knarzen öffnet sich der Beichtstuhl und Lydia Zachbauer holt ein Kästchen mit Kurbel hervor. Dreht man daran, entrollt sich eine 16 Meter lange Schnur mit Holzkugeln. Jede einzelne davon symbolisiert eine wichtige Station in der Geschichte des Stiftes St. Florian, das sich aus einer Wallfahrtsstätte zum Grab des Heiligen Florian (gestorben 304 n. Chr.) entwickelte: um 800 die erste schriftliche Erwähnung eines Klosters, 1071 die Einführung der Augustiner-Chorherren, der Neubau des Stiftes ab 1683… „Ich lasse meist ein Kind die Kurbel drehen, während ein anderes den Beginn der Kette hält und sich dabei immer weiter von der Gruppe entfernt. Die Zeitspanne wird so greifbar. Wenn wir uns anschauen, was sich in St. Florian im Laufe der Jahrhunderte alles getan hat, kommt es den Kindern vor, als wären die Jahre von Anton Bruckner im Stift erst vorgestern gewesen.“
Die studierte Musikpädagogin und Mutter zweier Söhne im Volksschulalter brennt für Musik- und Kulturgeschichte und hat die Junge Kulturvermittlung im Stift St. Florian gemeinsam mit einem kleinen Team aufgebaut. Von der Neugierdsnasen-Tour, die alten Geheimnissen auf den Grund geht, über Bibliotheksführungen mit Buchbinder-Workshop bis zur Mitmach-Erlebnisrunde „We will barock you“ reicht das Angebot, das auf die verschiedenen Altersklassen abgestimmt ist. Ein zentrales Thema nicht nur im Jubiläumsjahr 2024 ist Anton Bruckner. Leben und Werk des bedeutenden Komponisten sind eng mit dem Stift St. Florian verbunden. Folgt man Lydia Zachbauer mit jungen Gästen durch das oberösterreichische Kloster, erlebt man den Menschen und Musiker Bruckner hautnah und lebendig und erhält zugleich spannende Einblicke in das monumentale Stift.
Entdeckungen mit allen Sinnen
„Im Stift St. Florian ist alles riesig. Damit die Kinder nicht durch die schiere Größe der Räume und ihrer Akustik erschlagen werden, brauchen sie genug Raum und Zeit“, erläutert die Kulturvermittlerin, die an vielen Ecken des Klosters Anschauungsmaterial wie die Perlenschnur versteckt hält. Durch Anfassen und Mitmachen entdecken die jungen Gäste beispielsweise wie es war, ein Kind im 19. Jahrhundert zu sein. „Ich habe alte Stoffe, über die man streichen kann, lasse die Kids überlegen, womit Anton Bruckner ohne Handy und Computer spielte, erkläre, dass man damals nur ein Paar Schuhe hatte und in der warmen Jahreszeit barfuß lief, und die Kinder in den Sommerferien auf dem Feld helfen mussten.“ Verschieden große Stücke eines zusammengesägten Besenstiels verkörpern die Lehrerfamilie Bruckner: Mutter, Vater und die zehn Geschwister von Anton. Sechs der kleinen Holzklötzchen lässt Lydia Zachbauer sachte umfallen – nur fünf Kinder überlebten. Eine eindrucksvolle und durch das neutrale Holz kindgerechte Darstellung.
So geht es weiter, man erfährt, dass der kleine Bruckner zwischen Orgelpfeifen und mit dem Klavier- und Geigenspiel aufwuchs, früh eine musikalische Begabung zeigte und bereits als Kind seinen Vater als Orgelspieler vertrat. Die Kinder hören seine erste Komposition, können sie kommentieren und begleiten den kleinen Anton, der nach dem frühen Tod seines Vaters als Sängerknabe ins Stift St. Florian kam. „Das Chorherrenstift sah damals so aus wie heute, es war ein Ort
von Welt, ein kulturelles Zentrum, ein Hort der Wissenschaft. Es muss für den Knaben aus dem ländlichen Ansfelden ungeheuer beeindruckend und einschüchternd gewesen sein.“
Orgel-Liebe
Sehr imposant wirkt noch heute die Orgel in der Stiftsbasilika. Mit ihren 7.386 Pfeifen, von denen manche einen Durchmesser von 60 Zentimetern haben, war sie lange die größte Orgel der Habsburger Monarchie. Kein Wunder, dass viele Besucher allein wegen ihr ins Stift St. Florian kommen. Den jungen Bruckner nahm der Klang des mächtigen Instruments gefangen. „Die Zeit damals war eine viel leisere als heute, das Lauteste, das man hörte, war die Eisenbahn“, erläutert Lydia Zachbauer, „wenn die Orgel gespielt wird, spürt man die Musik, die Kirche vibriert.“ Das Instrument ließ Anton Bruckner nie mehr los, Jahre später, als er sein Ziel, Lehrer wie sein Vater zu werden, erreicht hatte, spielte er es als Stiftsorganist und schuf in St. Florian einige Kompositionen. Heute ist die Bruckner-Orgel sehr bekannt und das – auf seinen Wunsch – direkt unter ihr platzierte Grab des Komponisten, zeigt die enge Verbindung von Instrument und Künstler.
Baumeister-Puppen
Mit abwechslungsreichen Entdeckungen und immer in Begleitung von Anton Bruckner spazieren die Kulturvermittlerin und ihre jungen Gäste durch das Stift. Als sie über die verschiedenen Bauphasen der barocken Anlage erzählt, kommen drei Holzpüppchen in selbstgemachten historischen Kostümen zum Einsatz: Carlo Antonio Carlone schick mit weißem Rüschenhemd und Mantel mit Goldbordüre, Jakob Prandtauer im grünen Gehrock und Gotthard Hayberger mit schwarzer Weste und braunem Überzieher. „Carlo Antonio Carlone“, stellt Lydia Zachbauer den ersten der drei Baumeister vor, rollt das R und gestikuliert gekonnt auf italienische Art. „Er hat die Kirche mit ihrer hohen Kuppel und den bunten Fresken geplant, sein Bruder Giovanni Battista Carlone war für die Stuckarbeiten verantwortlich. Die Beiden haben sich ideal ergänzt, deshalb wirkt die Kirche wie aus einem Guss.“
Vor einer mächtigen Türe mit kunstvollen Einlegearbeiten bleibt die Gruppe zunächst ruhig stehen. Was mag dahinter wohl zum Vorschein kommen? Vermutungen der Kinder sind erwünscht. „Wenn wir dann den Raum betreten, liebe ich es, in die Gesichter zu blicken. Für einen Moment herrscht absolute Stille, dann kommen ganz viele Fragen auf einmal, die ich nach und nach beantworte… in der Bibliothek stehen ca. 150.000 Bände, ja, die Bücher können alle gelesen werden und ja, Anton Bruckner, der hier als Sängerknabe und später als Lehrer und Organist lebte, las vielleicht in der Bibliothek und studierte Werke großer Komponisten.“
Mobbing und Body Percussion
Immer anschaulich und spannend erfahren die Kids mehr über das Leben und den Werdegang Bruckners, der gerne mit dem Klischee des schrulligen Typen mit Schlapphut und Hochwasserhose spielte. Als Orgelvirtuose und ‑improvisator war er ein Star, der in Frankreich und England tosenden Beifall erhielt. Oft unzufrieden mit sich und stets auf der Suche nach dem „perfekten Werk“, überarbeitete er seine Sinfonien unzählige Male und nahm negative Kritik sehr persönlich. Im großartigen Marmorsaal, in dem vor dem geistigen Auge rauschende Feste lebendig werden, holt Lydia Zachbauer einige Tafeln mit Kommentaren der Zeitgenossen über Anton Bruckner hervor. „Die kurzen Texte sind wie Posts in den sozialen Medien. Die Kinder merken dann gleich, hey, das hat auch etwas mit uns zu tun und sofort ist eine Diskussion am Laufen.“ Mit einem weiteren Hörbeispiel und einer Body Percussion, bei der die jungen Gäste dem Rhythmus von Bruckners Musik mit Händen und Füßen nachspüren, löst sich die Spannung.
Vor dem Abschluss der Tour in der Gruft, in der Anton Bruckners Sarg vor einer Wand aus Tausenden von Gebeinen steht, stimmt die Kulturvermittlerin die Teilnehmenden nochmals mit viel Fingerspitzengefühl ein. „Die Menschen hatten früher einen ganz anderen Zugang zum Tod als heute. Wenn man die Kinder darauf vorbereitet, ihnen erzählt, wie es damals war, kommen sie sehr gut damit klar.“ Wieder zurück am Tageslicht, regt sich nach der Führung nicht nur in den Kindern das Gefühl, dem Menschen Bruckner nähergekommen zu sein, fast als wäre er ein Freund, der vorgestern noch hier war.
„Im Stift St. Florian ist alles riesig.
Kinder brauchen genug Zeit und Raum, um die Eindrücke aufzunehmen.“
STIFT ST. FLORIAN ENTDECKEN
Stift St. Florian ist ein geschlossenes barockes Ensemble in einer eindrucksvollen Dimension. Im prunkvollen Kaisertrakt, der im Originalzustand zu sehen ist, übernachteten zahlreiche berühmte Gäste. Die Prunkräume wie beispielsweise die Bibliothek, der Marmorsaal oder die Kaiserzimmer können nur mit einer Führung besichtigt werden. Ohne Führung sind die Stiftsbasilika zu den Öffnungszeiten, die Gärten und der Stiftshof zugänglich.
Weitere Infos unter
www.stift-st-florian.at
HÖRERLEBNIS BRUCKNER-ORGEL
In der Sommersaison findet nahezu täglich ein Live-Orgelkonzert in der Stiftsbasilika statt, Tickets sind im Stiftsladen erhältlich.
ÜBERNACHTEN
Im Gästehaus können Einzel- und Doppelzimmer mit Frühstücksbuffet gebucht werden, zudem gibt es spezielle Angebote wie die „Sommerfrische in St. Florian“ auf Bruckners Spuren oder Yoga-Wohlfühl-Tage.
RESTAURANT
Im Stiftskeller werden Köstlichkeiten aus der stiftseigenen Landwirtschaft serviert.
KLOSTERLADEN
Die Lego-Bruckner-Orgel, Bücher, Geschenke, Angebote zu den Festtagen, Schutzengel, Stiftsweine, Tees, Süßigkeiten und vieles andere mehr gibt es im Florianer Stiftsladen.