
Genuss
Die Vorreiter
Der schonende Umgang mit Ressourcen und die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg – das kulturelle Erbe der Zisterzienser ist aktuell wie nie. Bei einem Besuch im Stift Zwettl kann man es erleben und die Ergebnisse genießen.
m Silvestertag 1137 kamen zwölf Mönche mit ihrem Abt aus dem vier Jahre zuvor gegründeten Stift Heiligenkreuz im Wienerwald ins Waldviertel, um in der Nähe der Ortschaft Zwettl ein weiteres Kloster zu gründen. Bereits am Neujahrsmorgen stieg Abt Hermann wieder auf sein Pferd, um gemeinsam mit Hadmar I. aus der Familie der Kuenringer, der sich die Ansiedlung der Zisterzienser wünschte, das Gebiet des zukünftigen Klosters abzureiten und den geeigneten Platz für den Bau zu finden. Bei diesem sogenannten „Umritt“ wies eine grünende Eiche in der Winterlandschaft den beiden die Stelle für den Standort – so die Gründungslegende des Stiftes Zwettl.
Der Ort war gut gewählt und entsprach der Regel des heiligen Benedikt, nach der ein „Kloster so angelegt werden soll, dass sich alles Notwendige wie Wasser, Mühle und Garten“ in seinem Areal befinden solle. „Die Bedeutung des Wassers war für die Zisterzienser von Anfang an prägend“, erläutert Stiftsarchivar Dr. Andreas Gamerith und lässt die Gäste das mittelalterliche Necessarium, die Latrinenanlage bestaunen. Ob Entsorgung des Abwassers mittels ausgeklügelter Kanalsysteme, Brücken- und Teichbau, ob Fischzucht oder die Nutzung des Wassers für Brunnen, Brauereien sowie zur Energiegewinnung – die Mönche des Zisterzienserordens waren Meister im Umgang mit dem flüssigen Element und mit ihnen verbreitete sich dieses Wissen durch ganz Europa.
Landschaftsprägend
„Die Zisterzienser hatten einen eigenen Zugang zur Nutzung der Natur und der Bewirtschaftung ihrer Umgebung“, so Dr. Gamerith, „Sie interagierten mit den Ressourcen vor Ort und passten ihre Maßnahmen den jeweiligen Gegebenheiten an.“ Im Zentrum des beim „Umritt“ festgelegten Gebietes wurde das Kloster errichtet, darum herum gruppierten sich Grangien, Klosterhöfe mit großen Parzellen für Ackerbau und Viehzucht. Ausgedehnte Wälder wurden gepflegt und der Wein‑, Obst- sowie Hopfenanbau forciert. Und um überschüssige Produkte zu verkaufen, wurden eigene Höfe in den nahegelegenen Städten aufgebaut. „Überspitzt sage ich immer, man hätte die Zisterzienser in die Wüste schicken können und dort Jahrzehnte später eine blühende Oase vorgefunden. Nicht umsonst gab es an den wichtigsten mittelalterlichen Handelsstraßen Zisterzienserklöster.“ Durch diesen Umgang mit der Natur und den Rohstoffen prägten die Mönche die Landschaft in einem weiten Umkreis um ihre Klöster – ihr kulturelles Erbe ist bis heute europaweit sichtbar.
Das europäische Projekt Cisterscapes, das 2024 mit dem Kulturerbe-Siegel ausgezeichnet wurde, macht mit 17 zisterziensischen Klosterlandschaften in fünf Staaten diese Bedeutung erlebbar. „Die Werte vom Erhalt und Respekt vor der Natur, dem Schaffen von Rückzugs- und Kraftorten sind notwendig und aktueller denn je“, fasst Birgit Birth, Pastorin und Geschäftsführerin des Klosters Loccum den Anspruch aller Cisterscapes-Kulturerbestätten zusammen.
Highlight „Bärenhaut“
Innerhalb des Kulturphänomens der Zisterzienserlandschaften nimmt Stift Zwettl eine Sonderstellung ein, da die Zwettler „Bärenhaut“ den „Umritt“ und die daraus entstandene Klosterlandschaft mit Bildern und Texten detailliert dokumentiert. In der Handschrift, die zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstand, wurden die Klostergründung, die Geschichte der Stifterfamilie sowie Kopien wichtiger Urkunden zu einem Prachtband zusammengefasst. Ein Schatz, in dem der Stiftsarchivar immer wieder Entdeckungen macht, die Sensationen sind und die Fachwelt aufhorchen lassen. „Das nach seinem Einband aus dem Leder eines männlichen Schweins bzw. ‚Saubären‘ benannte Buch enthält die Schilderung von Streitigkeiten um die Grangie Ratschenhof, die zwischen 1141 und 1144 stattfanden“, erzählt Dr. Gamerith. „Dabei wird erwähnt, dass der Wirtschaftshof mit Obstgärten, Bienenstöcken und ‚Vivarien‘ großzügig ausgebaut werden sollte. Hinter dem lateinischen Begriff ‚Vivarium‘ verbirgt sich die Urform des deutschen Wortes ‚Weiher‘ und wir haben damit vermutlich einen Hinweis auf einen der ältesten Teiche in Mitteleuropa.“
Heute bewirtschaftet Stift Zwettl 15 Teiche, in denen vor allem Karpfen und Forellen von höchster Qualität heranwachsen – aus jahrhundertelanger Tradition setzt man dabei auf Nachhaltigkeit. Zwei der Teiche stehen zudem unter Naturschutz und sind zur Heimat von mehr als 230 Vogelarten geworden. Gäste können im Stift Zwettl sowohl Teile des mittelalterlichen Klosters als auch Highlights der Barockzeit entdecken, sich in den Gärten an der Natur erfreuen und Spezialitäten aus dem Waldviertel sowie die Weine aus dem stiftseigenen Weingut Schloss Gobelsburg verkosten: Ein Genuss für alle Sinne.
STIFT ZWETTL ENTDECKEN
Führungen
Von Ostern bis Ende Oktober geöffnet, individuelle Besichtigungen (Kreuzgang mit Kapitelsaal, Brunnenhaus, Dormitorium und Necessarium) mit Audioguide (Mai bis September von 9 bis 17 Uhr, sonst 9.30 bis 16 Uhr), Führungen durch die Kirche und Schatzkammer bzw. die Bibliothek und die Sonderausstellung Cisterscapes um 11, 14 und 15 Uhr (von Mai bis September zusätzlich an Wochenenden und Feiertagen um 12.30 Uhr). Für Schulklassen und Gruppen gibt es ganzjährig ein umfangreiches Angebot an Themenführungen. www.stift-zwettl.at
Tipp: Handwerkskunst um 1730 lässt sich in der Kirche bewundern: ein Beichtstuhl mit Schiebetür.
Restaurant
Köstlichkeiten aus regionalen Spezialitäten wie Erdäpfeln, Karpfen und Mohn stehen auf der Speisekarte in der Stiftstaverne und Orangerie.
Klosterladen
Genussvoll stöbern und geschmackvolle Produkte für zuhause mitnehmen: der Klosterladen bietet Weine aus dem Stiftsweingut Schloss Gobelsburg zu Ab-Hof-Preisen, Marmelade und Mohnzelten, Mohnprodukte, Honig sowie die Zwettler „Stiftsschätze“. Feinschmecker freuen sich über den Monastic Dry Gin aus hochwertigen Kräutern, den Pater Justinus in der Stille klösterlicher Mauern brennt, und weitere edle Brände und Liköre. Naturkosmetik, Patchworkarbeiten aus der Region, Bücher und Geschenkideen runden das große Sortiment ab. Eine Auswahl davon gibt es auch online: www.shop.stift-zwettl.at
Fischverkauf
Samstags von 9 bis 12 Uhr können Fische aus der regionalen Teichwirtschaft gekauft werden.