Dicht dran - Klösterreich
 

Dicht dran

Veröffentlicht von waltergrafik am

Kul­tur

Dicht dran

Stift Her­zo­gen­burg ist ein Geheim­tipp für alle, die Kunst, Kul­tur und vor allem die Lebens­wei­se der Augus­ti­ner-Chor­her­ren haut­nah erle­ben möch­ten. Wer sich dar­auf ein­lässt, nimmt auch etwas für das eige­ne Leben mit.

Gott sei Dank sagt der Name der Rose den kom­men­den Gene­ra­tio­nen nichts mehr“, meint Propst Petrus zu Beginn des Rund­gangs lachend. „Ein Klos­ter ist kei­ne ver­wun­sche­ne dunk­le Welt. Hier im Stift Her­zo­gen­burg sind wir Geist­li­chen sehr greif­bar, die Begeg­nung mit Gäs­ten ist uns enorm wich­tig. Jeder, der uns besucht, kann sicher sein, dass er zu den ange­ge­be­nen Zei­ten eine Füh­rung erhält – auch, wenn es manch­mal nur eine Per­son ist. Und die Wahr­schein­lich­keit dabei auf einen Mit­bru­der zu tref­fen, ist hoch, denn wir sind ein akti­ves Stift.“
Das wird auch auf der Tour durch die groß­zü­gi­gen Räum­lich­kei­ten des Klos­ters deut­lich: Anders als in einem Muse­um sind die Expo­na­te nicht hin­ter Glas oder einer Absper­rung, son­dern kön­nen aus nächs­ter Nähe ohne Bar­rie­re betrach­tet wer­den. Bei­spiels­wei­se eine manns­ho­he Chris­tus­fi­gur am Kreuz, die vor mehr als 700 Jah­ren geschaf­fen wur­de. Die kno­chi­gen Knie, die Rip­pen­bö­gen, der auf die Sei­te geleg­te Kopf – nichts trennt die Betrach­ten­den von der Holz­skulp­tur. Was mag in dem­je­ni­gen, der sie schnitz­te, vor­ge­gan­gen sein? Wie vie­le Men­schen im Lau­fe der Jahr­hun­der­te wohl vor der Figur gebe­tet, ihr ihre Ängs­te und sehn­lichs­ten Wün­sche anver­traut haben? So unmit­tel­bar vor ihr, meint man, die glück­li­chen Situa­tio­nen und dra­ma­ti­schen Sze­nen, die sich vor ihr abge­spielt haben, zu erspü­ren und hält ehr­fürch­tig den Atem an. Ein Ein­druck, der kaum ent­ste­hen wür­de, wäre die Figur ein Aus­stel­lungs­ob­jekt, das man aus der Distanz sieht.

Die­se Unauf­ge­regt­heit fas­zi­niert vie­le am Klosterleben.

Inmit­ten von Schätzen
„Die­ser Chris­tus ist eine Art Schnapp­schuss am Über­gang zwi­schen den Kunst­sti­len Roma­nik und Gotik. Ein sehr wich­ti­ges Kunst­werk, das zeigt, dass sich eine Epo­che aus der ande­ren ent­wi­ckel­te. In die­sem Sinn ist die Figur von unschätz­ba­rem Wert“, erläu­tert Propst Petrus. „In Klös­tern gibt es sehr viel Kunst. Die Gäs­te bekom­men hier ein Gefühl für Preis und Wert, zwei völ­lig unter­schied­li­che Aspek­te. Wir trau­en es unse­ren Besu­che­rin­nen und Besu­chern zu, etwas sehr Wert­vol­les aus der Nähe zu betrach­ten, und haben die Erfah­rung gemacht, dass die Men­schen die­ses Pri­vi­leg zu schät­zen wissen.“
Und so wan­dert man in einem Raum zwi­schen Tei­len von Flü­gel­al­tä­ren hin­durch, die aus den Jah­ren 1450 und 1501 stam­men, und kann erken­nen, wie sich die Ver­wen­dung der Far­ben und die per­spek­ti­vi­sche Male­rei in die­ser kur­zen Zeit­span­ne ent­wi­ckel­ten. Man nimmt in der Chor­ka­pel­le Platz, in der sich die Geist­li­chen im Win­ter drei­mal täg­lich zum Chor­ge­bet tref­fen. Und kann beim Blick nach oben eines der weni­gen Fres­ken des berühm­ten Malers Krem­ser Schmidt betrach­ten, der die Far­ben im Wett­lauf gegen die Zeit, auf nas­sem Putz auf­trug – „die gro­ßen Meis­ter hat­ten es auch nicht leicht“. Im an die Chor­ka­pel­le anschlie­ßen­den Raum steht man stau­nend vor den fest­li­chen lit­ur­gi­schen Gewän­dern – roter Samt mit auf­wän­di­gen Gold­sti­cke­rei­en – die Propst Petrus ein­mal im Jahr am Ste­fa­ni­tag trägt. „Sie sind kalt, schwer und man darf sie nicht berüh­ren. Ich bin jedes Mal froh, wenn ich sie wie­der aus­zie­hen kann, aber wir ver­wen­den das Alte und Neue, jedes zu sei­ner Zeit, denn die Tex­ti­li­en müs­sen auch bewegt werden.“

„Vie­les rela­ti­viert sich“
In der Biblio­thek, die einst aus der Visi­on ent­stand, sämt­li­ches Wis­sen der Zeit zu sam­meln, erzählt Propst Petrus von der Digi­ta­li­sie­rung des rie­si­gen Buch­be­stan­des und die Fra­ge­stel­lun­gen, die sich erge­ben. „Wel­che Bücher kauf­te man zur sel­ben Zeit? Was waren die Gesprächs­the­men? Was war wich­tig? – ein span­nen­des Feld, das noch wei­ter erforscht wer­den könn­te, aber lei­der haben wir auch im Klos­ter ein Zeit­pro­blem.“ Beein­flusst das aktu­el­le Zeit­ge­sche­hen das Klos­ter­le­ben? „Natür­lich hat jeder ein Smart­phone in der Tasche, wir sind gut infor­miert, aber auch etwas distan­ziert. Wenn ich mor­gens auf­ste­he, schaue ich nicht sofort um 6 Uhr die Nach­rich­ten an, sonst bin ich den gan­zen Tag unkon­zen­triert. Wenn ich spä­ter am Schreib­tisch sit­ze, erfah­re ich sowie­so alles. Unser Stift hat in den ver­gan­ge­nen 900 Jah­ren sei­nes Bestehens vie­le Höhen und Tie­fen erlebt. Da lernt man, gelas­se­ner zu wer­den, die Din­ge in Rela­ti­on zu sehen. Nicht alles ist wich­tig. Die­se Unauf­ge­regt­heit fas­zi­niert vie­le Men­schen am Klos­ter­le­ben, weil sie sie nicht gewohnt sind. Sie ist eine Übungs­sa­che, die man ler­nen kann.“