
Kultur
Dicht dran
Stift Herzogenburg ist ein Geheimtipp für alle, die Kunst, Kultur und vor allem die Lebensweise der Augustiner-Chorherren hautnah erleben möchten. Wer sich darauf einlässt, nimmt auch etwas für das eigene Leben mit.
Gott sei Dank sagt der Name der Rose den kommenden Generationen nichts mehr“, meint Propst Petrus zu Beginn des Rundgangs lachend. „Ein Kloster ist keine verwunschene dunkle Welt. Hier im Stift Herzogenburg sind wir Geistlichen sehr greifbar, die Begegnung mit Gästen ist uns enorm wichtig. Jeder, der uns besucht, kann sicher sein, dass er zu den angegebenen Zeiten eine Führung erhält – auch, wenn es manchmal nur eine Person ist. Und die Wahrscheinlichkeit dabei auf einen Mitbruder zu treffen, ist hoch, denn wir sind ein aktives Stift.“
Das wird auch auf der Tour durch die großzügigen Räumlichkeiten des Klosters deutlich: Anders als in einem Museum sind die Exponate nicht hinter Glas oder einer Absperrung, sondern können aus nächster Nähe ohne Barriere betrachtet werden. Beispielsweise eine mannshohe Christusfigur am Kreuz, die vor mehr als 700 Jahren geschaffen wurde. Die knochigen Knie, die Rippenbögen, der auf die Seite gelegte Kopf – nichts trennt die Betrachtenden von der Holzskulptur. Was mag in demjenigen, der sie schnitzte, vorgegangen sein? Wie viele Menschen im Laufe der Jahrhunderte wohl vor der Figur gebetet, ihr ihre Ängste und sehnlichsten Wünsche anvertraut haben? So unmittelbar vor ihr, meint man, die glücklichen Situationen und dramatischen Szenen, die sich vor ihr abgespielt haben, zu erspüren und hält ehrfürchtig den Atem an. Ein Eindruck, der kaum entstehen würde, wäre die Figur ein Ausstellungsobjekt, das man aus der Distanz sieht.
Diese Unaufgeregtheit fasziniert viele am Klosterleben.
Inmitten von Schätzen
„Dieser Christus ist eine Art Schnappschuss am Übergang zwischen den Kunststilen Romanik und Gotik. Ein sehr wichtiges Kunstwerk, das zeigt, dass sich eine Epoche aus der anderen entwickelte. In diesem Sinn ist die Figur von unschätzbarem Wert“, erläutert Propst Petrus. „In Klöstern gibt es sehr viel Kunst. Die Gäste bekommen hier ein Gefühl für Preis und Wert, zwei völlig unterschiedliche Aspekte. Wir trauen es unseren Besucherinnen und Besuchern zu, etwas sehr Wertvolles aus der Nähe zu betrachten, und haben die Erfahrung gemacht, dass die Menschen dieses Privileg zu schätzen wissen.“
Und so wandert man in einem Raum zwischen Teilen von Flügelaltären hindurch, die aus den Jahren 1450 und 1501 stammen, und kann erkennen, wie sich die Verwendung der Farben und die perspektivische Malerei in dieser kurzen Zeitspanne entwickelten. Man nimmt in der Chorkapelle Platz, in der sich die Geistlichen im Winter dreimal täglich zum Chorgebet treffen. Und kann beim Blick nach oben eines der wenigen Fresken des berühmten Malers Kremser Schmidt betrachten, der die Farben im Wettlauf gegen die Zeit, auf nassem Putz auftrug – „die großen Meister hatten es auch nicht leicht“. Im an die Chorkapelle anschließenden Raum steht man staunend vor den festlichen liturgischen Gewändern – roter Samt mit aufwändigen Goldstickereien – die Propst Petrus einmal im Jahr am Stefanitag trägt. „Sie sind kalt, schwer und man darf sie nicht berühren. Ich bin jedes Mal froh, wenn ich sie wieder ausziehen kann, aber wir verwenden das Alte und Neue, jedes zu seiner Zeit, denn die Textilien müssen auch bewegt werden.“
„Vieles relativiert sich“
In der Bibliothek, die einst aus der Vision entstand, sämtliches Wissen der Zeit zu sammeln, erzählt Propst Petrus von der Digitalisierung des riesigen Buchbestandes und die Fragestellungen, die sich ergeben. „Welche Bücher kaufte man zur selben Zeit? Was waren die Gesprächsthemen? Was war wichtig? – ein spannendes Feld, das noch weiter erforscht werden könnte, aber leider haben wir auch im Kloster ein Zeitproblem.“ Beeinflusst das aktuelle Zeitgeschehen das Klosterleben? „Natürlich hat jeder ein Smartphone in der Tasche, wir sind gut informiert, aber auch etwas distanziert. Wenn ich morgens aufstehe, schaue ich nicht sofort um 6 Uhr die Nachrichten an, sonst bin ich den ganzen Tag unkonzentriert. Wenn ich später am Schreibtisch sitze, erfahre ich sowieso alles. Unser Stift hat in den vergangenen 900 Jahren seines Bestehens viele Höhen und Tiefen erlebt. Da lernt man, gelassener zu werden, die Dinge in Relation zu sehen. Nicht alles ist wichtig. Diese Unaufgeregtheit fasziniert viele Menschen am Klosterleben, weil sie sie nicht gewohnt sind. Sie ist eine Übungssache, die man lernen kann.“
STIFT HERZOGENBURG ENTDECKEN
Das barocke Gesamtkunstwerk ist ein touristischer Geheimtipp unweit Wiens: Hier gibt es mehr als 900 Jahre ununterbrochene Klostertradition zu erleben! Im Rahmen einer Führung lernt man das Leben der Chorherren von Herzogenburg in Geschichte und Gegenwart kennen. Dazu werden u. a. Festsaal, Chorkapelle, Bibliothek und Kunstsammlungen gezeigt.
Weitere Infos unter
www.stift-herzogenburg.at