Das Kloster unter dem Kloster - Klösterreich
 

Das Kloster unter dem Kloster

Veröffentlicht von waltergrafik am

Kul­tur

Das Kloster unter dem Kloster

Vor eini­gen Jah­ren kam in Stift Alten­burg ein gro­ßer Schatz ans Tages­licht: die mit­tel­al­ter­li­che Klos­ter­an­la­ge, auf der im 17. Jahr­hun­dert der baro­cke Prunk­bau errich­tet wur­de. Die Aus­gra­bun­gen sind heu­te für Besu­cher zugänglich.

Was pas­siert, wenn jemand nur betet? – Der knallt durch. Was ist mit einem, der nur arbei­tet? – Der ist bereits durch­ge­knallt.“ – Humor- und ein­drucks­voll erläu­tert Pater Micha­el die Bene­dik­ti­ner­re­gel, die voll­stän­dig „Ora et labo­ra et lege“ – „Bete, arbei­te und lies“ bedeu­tet, und zeigt dabei auf die klei­ne Nische vor dem zuge­mau­er­ten Fens­ter. Vor Hun­der­ten von Jah­ren saß dort ein Mönch in sei­ner stei­ner­nen Zel­le und nutz­te das her­ein­fal­len­de Licht, um in Schrif­ten zu lesen und den drit­ten Teil des Grund­sat­zes zu erfül­len. „Das Lesen ist ganz wesent­lich, sonst besteht ein Ungleichgewicht.“

Seit 1144 leben durch­gän­gig Bene­dik­ti­ner in der Abtei in Nie­der­ös­ter­reich, die auf einem Fel­sen gebaut, inmit­ten von bewal­de­ten Hügeln und Wein­gär­ten liegt. Um die Jahr­tau­send­wen­de bekam die­se Idyl­le jedoch einen Sprung – im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes: Die Mön­che stell­ten tie­fe Ris­se im Gewöl­be fest, die Außen­mau­er des Gebäu­des, die an den Gar­ten grenz­te, droh­te weg­zu­bre­chen. „Wir hat­ten gro­ße sta­ti­sche Schwie­rig­kei­ten“, erzählt Pater Micha­el, „auf wan­kel­mü­ti­gen Fun­da­men­ten kann man nichts nach­hal­tig aufbauen.“
Die Sanie­rung, die 2001 begon­nen wur­de, brach­te Erstaun­li­ches zum Vor­schein: Tei­le des mit­tel­al­ter­li­chen Klos­ters, dar­un­ter Mau­ern aus dem 12. Jahr­hun­dert und Res­te eines goti­schen Turms, von Mönchs­zel­len und einer Kapel­le wur­den von den Archäolog­Innen vor­sich­tig frei­ge­legt. „Wir hat­ten hier eine rie­si­ge Bau­stel­le, ein 2.000 qm gro­ßes Loch“, erin­nert sich der Pries­ter, „dadurch kam ein span­nen­der Ein­blick in die Bau­ge­schich­te unse­res Stif­tes zuta­ge, aber auch ein ver­wir­ren­des Neben- und Über­ein­an­der der unter­schied­li­chen Bau­sti­le und Epochen.“

1648 hat man hier ein­fach Geröll über die alten Mau­ern geschüt­tet und dar­auf etwas Neu­es gebaut. 1945 ist etwas Ähn­li­ches in der Gesell­schaft passiert.

Mit­tel­al­ter­li­ches Mau­er­werk: Aus­gra­bun­gen machen die Ver­gan­gen­heit lebendig.

Preisgekrönte Architektur

Mit­hil­fe des renom­mier­ten Archi­tek­tur­bü­ros Jaborn­egg & Pálffy wur­den die Aus­gra­bun­gen als moder­ner mini­ma­lis­ti­scher Aus­stel­lungs­raum gestal­tet, bei dem Sicht­be­ton, Edel­stahl und Glas die Rui­nen und Mau­er­res­te in den Mit­tel­punkt rücken. Das Pro­jekt brach­te Stift Alten­burg inter­na­tio­na­le Beach­tung ein und wur­de 2011 vom Mies van der Rohe Award, einem der wich­tigs­ten zeit­ge­nös­si­schen Archi­tek­tur-Prei­se, als einer der „bes­ten Bau­ten Euro­pas“ gelis­tet. 40.000 Tou­ris­tIn­nen kom­men jähr­lich, um in die fas­zi­nie­ren­de Welt des Klos­ters unter dem Klos­ter einzutauchen.

Wer den Rund­gang mit Pater Micha­el unter­nimmt, erfährt nicht nur viel über die Geschich­ten, die die Stei­ne erzäh­len, son­dern bekommt auch zahl­rei­che Denk­an­stö­ße und Impul­se von dem welt­offenen Pri­or von Stift Alten­burg. „Auch im per­sön­li­chen Leben und in der Gemein­schaft sind oft Res­sour­cen ver­bor­gen, von denen man nichts weiß“, zieht er bei­spiels­wei­se den Ver­gleich zu den Ent­de­ckun­gen im Klos­ter. „So, wie wir nun die Geschich­te unse­res Hau­ses bes­ser ver­ste­hen, muss man begin­nen, die­ses Poten­ti­al zu erfor­schen, um sich neue Mög­lich­kei­ten zu eröffnen.“

Wäh­rend die Kel­ler­ge­wöl­be des Stifts immer zugäng­lich waren, ahn­ten die Mön­che von Alten­burg lan­ge Zeit nur, dass es in den Geschos­sen dar­über etwas geben muss­te – die Dimen­si­on der Aus­gra­bun­gen aber über­traf alle Erwar­tun­gen. „Nach der Refor­ma­ti­on und dem Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg, in dem die ursprüng­li­che Klos­ter­an­la­ge schwer beschä­digt wur­de, über­schüt­te­te man die Rui­ne mit Geröll und errich­te­te das Stift Alten­burg, wie wir es heu­te ken­nen im 17. und 18. Jahr­hun­dert“, fasst Pater Micha­el die Geschich­te zusam­men. „Etwas Ähn­li­ches ist 1945 in der Gesell­schaft pas­siert und wir müs­sen heu­te um die gesell­schaft­li­che Sta­tik in Euro­pa fürchten.“
Um die Sta­bi­li­tät der his­to­ri­schen gemau­er­ten Bögen zu sichern, ent­schie­den sich die Ver­ant­wort­li­chen, die­se nicht von unten abzu­stüt­zen, son­dern auf sie jeweils einen zwei­ten Bogen aus Beton zu gie­ßen. „Ein Min­dest­maß an Belas­tung stärkt nicht nur mit­tel­al­ter­li­che Mau­ern, son­dern ist auch für die Wider­stands­fä­hig­keit des Men­schen vor­teil­haft“, lau­tet die Par­al­le­le des Benediktiners.

 

Fas­zi­nie­ren­de Unter­welt: die Gewöl­be sind heu­te begehbar.

Zeichen deuten

Neben den Aus­gra­bun­gen hält Stift Alten­burg zahl­rei­che wei­te­re Ent­de­ckun­gen für Besu­che­rIn­nen bereit. Pla­ci­dus Much, der Sohn eines Wein­bau­ern, war von 1715 bis 1756 der 40. Abt in Alten­burg. Sehr gebil­det, kunst­sin­nig und auf­ge­klärt, hol­te er eini­ge der bes­ten Bau­meis­ter, Hand­wer­ker und Künst­ler sei­ner Zeit ins Stift und sorg­te für das heu­ti­ge Erschei­nungs­bild der Klos­ter­an­la­ge. An der Schwel­le in eine neue Zeit, die nicht mehr an die Reli­gi­on als ein­zig gül­ti­ge Wahr­heit glau­ben konn­te, gab er den Anstoß zu einem ein­zig­ar­ti­gen Kunst­pro­jekt, das weit über den Hori­zont sei­ner baro­cken Zeit­ge­nos­sen hin­aus­ging und heu­ti­ge Betrach­ter vor man­ches Rät­sel mit anschlie­ßen­dem Aha-Erleb­nis stellt.
Steht man im Kir­chen­schiff und legt den Kopf in den Nacken, erblickt man ein über­di­men­sio­na­les ova­les Kup­pel­fres­ko – wie in einem Stru­del wir­beln klei­ne Put­ten, Engel, Dra­chen, Tie­re und zahl­rei­che wei­te­re Figu­ren auf einem rosé­far­be­nen Wol­ken­band dahin. „Die Offen­ba­rung des Johan­nes“ von Paul Tro­ger ist eines der bedeu­tends­ten baro­cken Fres­ken in Euro­pa. Ist das Kunst­werk für sich allei­ne schon groß­ar­tig, so macht es sei­ne Insze­nie­rung noch­mal so span­nend und wert­voll. Es kor­re­spon­diert mit dem run­den Fres­ko ober­halb des Altar­raums. Der Pries­ter vor dem Altar meint, ein kreis­för­mi­ges Bild im Kir­chen­raum zu sehen, die dort Sit­zen­den wie­der­um sind der Ansicht, dass die Kup­pel über dem Altar eben­falls eine Oval­form hat.
„Der Stand­punkt bestimmt die Sicht­wei­se“, erläu­tert Pater Micha­el. „Je nach­dem, wo man steht, sieht man eine Ellip­se, die das helio­zen­tri­sche Welt­bild ver­kör­pert, oder einen Kreis, der das geo­zen­tri­sche Welt­bild dar­stellt. Nie­mand kann sagen, mei­ne Aus­sa­ge ent­spricht der Wahr­heit, es braucht den Dia­log der bei­den ver­schie­de­nen Posi­tio­nen und das Ver­trau­en ineinander.“

Tou­ris­ti­scher Magnet: 40.000 Gäs­te kom­men jähr­lich ins Stift Altenburg.

Religion und Wissenschaft

Dass sich die bei­den Wel­ten nicht kon­trär gegen­über­ste­hen müs­sen, son­dern sich ergän­zen kön­nen, hat Abt Pla­ci­dus Much in wei­te­ren Räum­lich­kei­ten des Stif­tes immer wie­der anschau­lich dar­stel­len las­sen. In der impo­san­ten fünf­zig Meter lan­gen Biblio­thek bei­spiels­wei­se zei­gen die drei Kup­peln die Gött­li­che Weis­heit und die vier Fakul­tä­ten Theo­lo­gie, Juris­pru­denz, Medi­zin und Phi­lo­so­phie. Die Gemäl­de über den Bücher­schrän­ken haben die Ent­wick­lung der Wis­sen­schaf­ten und der Reli­gi­on zum Thema.
Sehr greif­bar wird das Gan­ze auch im Kai­ser­trakt des Klos­ters, der für den Besuch des Herr­schen­den, der aller­dings nie nach Alten­burg kam, vor­ge­hal­ten wur­de. Das Decken­ge­mäl­de über der Kai­ser­stie­ge zeigt zwei freund­schaft­lich bei­ein­an­der­sit­zen­de Frau­en­ge­stal­ten, die sich

Eine gesun­de Belas­tung unter­stützt die Sta­bi­li­tät – das gilt für Gewöl­be eben­so wie für Menschen.

Alte Stei­ne, alte Pflan­zen: rund um den Brun­nen im Kreuz­gang­gar­ten gedei­hen mit­tel­al­ter­li­che Sym­bol­pflan­zen wie Iris, Efeu und Himmelschlüssel.

die Hän­de rei­chen – die Reli­gi­on und die Weis­heit. „Quam bene con­ve­niunt – wie gut pas­sen sie zusam­men“ so der Titel des Bil­des. Am Trep­pen­ab­satz teilt sich die Stie­ge – eine führt links, eine rechts nach oben. Wer wei­ter­ge­hen will, muss sich für einen Weg ent­schei­den, doch jeder führt ans Ziel, zur Wahrheit …
„Pla­ci­dus Much war sei­ner Zeit weit vor­aus, hat sich zeit­lo­sen Fra­gen aus­ge­setzt, um Ant­wor­ten gerun­gen und vie­les bild­haft umge­setzt“, meint Pater Micha­el zum Abschluss in der unge­wöhn­li­chen Kryp­ta des Stifts Alten­burg, in der far­ben­fro­he Illus­tra­tio­nen das tris­te Grau spren­gen und die Freu­de des Oster­mor­gens leben­dig wer­den las­sen. „Auch heu­te dür­fen wir gesell­schafts- und kir­chen­po­li­ti­schen Fra­gen nicht aus­wei­chen. Hier­her kom­men auch Anders­gläu­bi­ge und Nicht-Getauf­te, dafür muss ich per­sön­lich offen sein, wir müs­sen ein­an­der mit Respekt begeg­nen und den Stand­punkt des Ande­ren verstehen.“